Taiji-Special Teil 3

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Bildcopyright: Taiji Sawada, X Japan

Nach seinem Ausstieg bei X ging es für Taiji nicht sofort bergab, ganz im Gegenteil: Loudness klopften an die Tür und auch ein eigenes Bandprojekt schaffte die Möglichkeit, sein potentielles Können als Rockmusiker auszuleben. Und doch erlebte Taiji schließlich seinen ganz persönlichen, tiefen Fall, aus dem ihn erst ein Toter wieder herauszuholen vermochte...

Inhalt

Loudness & D.T.R

Es dauerte nach seinem Weggang von X nicht lange, bis Taiji wieder in einer Band spielen sollte: Im April '92 nahm ihn die Metal-Band Loudness auf. Loudness, die in ihrem Genre bereits verhältnismäßig früh über die Grenzen Japans hinaus ein gewisses Ansehen genießen konnten, gehörten schon seit seiner Jugend zu Taiji's Lieblingsbands aus eigenem Lande. Und die Anfrage von eben dieser Band, ob er nicht Lust hätte bei ihnen mitzumachen, schien beinahe schon zu schön, um wahr zu sein.
Im Juni des selben Jahres erschien das selbstbetitelte Studio-Album „Loudness“ und im April 1993 folgte das Live-Album „Once and for all“. Doch obwohl Taiji mit einigen seiner größten Vorbilder zusammen arbeiten durfte, fühlte es sich auf lange Sicht irgendwie nicht richtig an. Der anfängliche Enthusiasmus war schnell verflogen und so stieg er nach Erscheinen des Live-Albums auch schon wieder aus.
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Im Sommer 1994 rief Taiji eine völlig neue Band ins Leben: D.T.R wurde sie getauft und ihm zur Seite standen Sänger Mitsuo Takeuchi (ex-Joe-Erk), Gitarrist Taiji Fujimoto (The Dead Pop Stars, ex-Judy and Mary) und Drummer Toshihiko Okabe. Als zweiten Gitarristen, der jedoch mehr eine Support-Stellung hatte und somit nicht zum offiziellen Line-Up zählte, hatten sie Ichiro engagieren können sowie als Support-Keyboarder Shigeo Komori.
Mit dieser neuen Formation veröffentlichten D.T.R noch im selben Sommer sowohl ihr Debut-Album „Dirty Trashroad“ als auch ihr Akkustik-Mini-Album „Dirty Trashroad~Acoustic“. Doch schon bald verließ Drummer Toshihiko die Rockerbande, die einen sehr westlichen Sound spielte. Für ihr zweites Album „Daring Tribal Roar“, welches im Mai '95 erschien, 'liehen' sie sich für das Schlagzeug Kazuhisa „Roger“ Takahashi. Einen festen zweiten Gitarristen hatten sie nun auch: Tomoyuki Kuroda lautete sein Name.

 

Einen Großteil der Musik komponierte Taiji, während Mitsuo fast alle Texte schrieb. Interessant ist zu beobachten, dass auf „Dirty Trashroad~Acoustic“ ein Track mit Titel „Voiceless“ vertreten ist, bei dessen Komposition es sich um den früheren X-Song „Voiceless Screaming“ handelt. Schon dieser stammte ja seinerzeit aus Taiji's Feder und da ihm der Song sehr viel bedeutete, wurden in der D.T.R-Version die Lyrics einfach neu geschrieben.
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Parallel zu D.T.R spielte Taiji in dem kurzlebigen Projekt Kings mit, wo er auch auf die Musiker-Kollegen Joe (44 Magnum, hide with Spread Beaver), Shuichi (Night Hawks), Luke (Seikima-II) und auch Tomoyuki stieß. Diese Formation brachte jedoch nur ein Album auf den Markt.

1996 erschien dann schließlich das D.T.R-Album „Drive to Revolution“, welches eine Zusammenstellung aus Remix- und Live-Versionen bereit hielt. Doch auf der Spitze ihres Erfolges beschloss Taiji mit einem Mal, D.T.R zu beenden. Abrupt und plötzlich. Die wahren Gründe dafür hatte er nie nennen wollen.


Ein ruheloser Wanderer

Taiji hatte das Gefühl, er würde von einer mächtigen Welle überrumpelt werden. Sowohl musikalisch als auch privat wollte ihm einfach nichts mehr gelingen. Er verlor den Glauben an sich selbst und somit auch alles, was ihm bis zu diesem Zeitpunkt wichtig war. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden und setzte ihn vor die Tür. Außer weniger Habseligkeiten besaß er nichts mehr.
Die erste Zeit verbrachte er die Nächte in Hotels. Doch das Geld, das er noch hatte, reichte nicht ewig. Und so landete er schließlich im Ueno Park, einer großen Parkanlage im Tokyoter Stadtbezirk Taito, der noch immer als oft genutzter Zufluchtsort Obdachloser gilt. Die einzigen Dinge, die der einst so stolze und kreative Bassist jetzt noch besaß, waren ein Ölheizer, ein kleiner Gasofen, eine Feldflasche, ein Schlafsack, ein Kochtopf, ein Messer, eine Zange – und eine Gitarre.

Sein ganzer Lebenswille hatte sich verflüchtigt. Er wollte mit niemandem reden, er wollte niemanden sehen. Und doch gab es tief in ihm noch diese instinktive Sehnsucht nach der Nähe anderer Menschen.
Sein Tagesablauf begann jeden Morgen mit der mühseligen Beschaffung von Wasser. Da man über das Wasserleitungssystem im Park damals nur schwer an das durstlöschende Nass kam, bearbeitete Taiji die Leitung jeden Tag auf ein Neues mit seiner Zange, um sich waschen und etwas trinken zu können. Wenn er darüber nachdachte, dass er lediglich etwas Geld benötigte, um alltägliche Dinge wie Strom, Gas und Wasser wesentlich simpler nutzen zu können, fühlte er sich noch elendiger und er begann mit einem Mal, einfache materielle Dinge wert zu schätzen.
So vergingen Tage, Wochen, Monate. Es waren keinerlei Veränderungen in Sicht und Taiji bemühte sich auch gar nicht um Selbige. Das mit Abstand Einzige, was ihm in seiner tristen Ausreißerwelt noch einen winzigen Lichtblick gab, war seine Gitarre. Aber Taiji war nicht der Einzige im Ueno Park, der eine Gitarre mit sich herum trug: Da gab es noch einen anderen Mann, ebenfalls obdachlos. Er spielte Blues und jedes Mal, wenn Taiji ihn hörte, konnte er nicht ohne Weiteres einfach an ihm vorbei gehen. Die Klänge der fremden Gitarre verzauberten ihn regelrecht und als sei es das Selbstverständlichste der Welt, begann er das fremde Spiel nachzuspielen. Bald schon hielten beide Männer gemeinsame Sessions ab und manchmal gesellten sich sogar ein paar Zuschauer hinzu. In dieser Zeit war der Blues sein ständiger Begleiter.
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So vergingen mehr als zwei Jahre, bis Taiji sich endlich dazu aufraffen konnte, seine Mutter aufzusuchen. Er erhoffte sich von ihr finanzielle Hilfe.
„Ich kann dir Geld geben, aber ich habe das Gefühl, das Geld wird in deiner jetzigen Lebenssituation nicht lange ausreichen“, lautete die Antwort seiner Mutter.
„Ich will diese Art von Leben nicht mehr führen“, entgegnete ihr Sohn. Daraufhin erhielt er das benötigte Geld und mietete sich eine kleine Wohnung in der Nähe seiner Familie. Die Wohnung hatte keine Badewanne, also wusch er sich in der Küche – doch im Vergleich zu den Verhältnissen im Ueno Park empfand er dies regelrecht als Luxus.
Aber obwohl er nun äußerlich wieder zurück in ein normales Leben zu finden schien, kam sein Herz nicht zur Ruhe. Er hatte ein Dach über dem Kopf und doch sah er keinen Sinn mehr in der Existenz seiner Person. Er hatte nur noch den Wunsch zu sterben, den er tagtäglich mit sich herum trug. Bis er diesen Wunsch eines Tages in die Tat umsetzen wollte und sich in einen Fluss stürzte. Aber in dem Moment, in dem er hätte sterben können – konnte er es nicht zulassen. Instinktiv kämpfte sein Körper und auch sein Geist gegen das drohende Ertrinken und entging somit noch der ursprünglich selbst gewählten tödlichen Situation.

Sterben zu wollen, aber nicht sterben zu können – dieses Paradox trieb Taiji in den Wahnsinn. Und es hörte erst auf, als er nach all den Jahren das erste Mal wieder auf hide traf – auf dessen Beerdigung.


hide

Als Taiji von hide's Tod hörte, geriet er in Panik. Zum Einen, weil es für ihn so unwirklich erschien, dass ausgerechnet hide, der doch neben X eine so erfolgreiche Solo-Karriere gestartet hatte, mit einem Mal tot sein sollte. hide, zu dem Taiji immer aufgesehen, den er immer bewundert hatte – und der ihm doch stets meilenweit voraus gewesen war.
Und zum Anderen, weil ihm niemand sagen konnte, wo genau die Trauerzeremonie eigentlich abgehalten wurde. Kurzentschlossen lieh er sich einen Anzug und sprang damit in das nächstbeste Taxi. Aber auch der Taxifahrer wusste nicht, wohin er ihn hätte fahren sollen. Niemand um ihn herum schien genau zu wissen, wo er seinen Freund ein letztes Mal sehen durfte. Also machte er sich kurzerhand zu Fuß auf den Weg. Schon als Kind war er äußerst sportlich und ein auffallend ausdauernder Läufer gewesen. Nun jagte er durch die Straßen, Kilometer um Kilometer und irgendwann machte sich diese Anstrengung in seinem Körper bemerkbar. Aber er hörte nicht auf zu laufen, hatte er doch nur ein Ziel vor Augen und dieses wollte er erreichen.

 

Sprichwörtlich in letzter Minute erreichte er den Bestattungssaal, in welchem hide's Leichnam aufgebahrt worden war. Die Besichtigungszeit ging bis zehn Uhr Abends und Taiji war der allerletzte Gast in der Halle. Er erhielt fünf Minuten Zeit mit hide.
Selbst jetzt, wo sein Körper tot im Sarg lag, waren die stolzen und in die Zukunft blickenden Züge auf hide's Gesicht zu erkennen. Das machte es für Taiji nicht gerade einfacher, die Realität zu begreifen. Plötzlich begann er zu weinen. „Warum schläfst du?“, wollte er von seinem Freund wissen, der ihm darauf nicht mehr antworten konnte.

Am nächsten Tag begann die dreitägige Trauerzeremonie am Tsukijihonwan-Tempel. Taiji hätte sich zuvor niemals ausgemalt, dass es, nach so langer Zeit, ausgerechnet solch ein Ort und solch ein trauriger Anlass sein würde, an dem er das erste Mal wieder seinen früheren Bandkollegen gegenüber stehen würde. Doch so war es. Sie redeten nicht viel miteinander, unterhielten sich überwiegend über Nichtigkeiten.
Doch Yoshiki ging einen Schritt weiter. Er erkannte die miserablen Zustände, in denen Taiji sich befand – es war auch nicht zu übersehen: Sein Körper war ausgelaugt und ausgezehrt, sein Kiefer gebrochen und es fehlten ihm vier Schneidezähne. Ein erbärmlicher Anblick. Ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, kam es zwischen Yoshiki und Taiji zu einem stillen Abkommen: Yoshiki würde die Kosten für die Instandsetzung seines Kiefers und seiner Zähne übernehmen. Er gab ihm die Summe dafür in einem Betrag.
Wann immer Taiji im späteren Verlauf seines Lebens beim essen an seine Zähne dachte, dachte er auch an Yoshiki.

hide hatte mit zu den Menschen gehört, die in Taiji's Leben eine ganz besondere Position einnahmen. In diesem Falle betraf es die Arbeit, die Musik. Da Taiji viel Zeit mit den Arrangements verbrachte, gab er den anderen Mitgliedern oftmals Anweisungen, um ihnen verständlich zu machen, wie etwas besser klingen würde. Diese Anweisungen betrafen jedoch niemals hide, denn dieser schien schon immer ganz genau zu wissen was zu tun war, noch bevor Taiji auch nur ein Wort sprach. Obwohl hide und Taiji eine so unterschiedliche Art und Weise hatten, sich selbst auszudrücken, harmonierten sie auf dieser Ebene ideal miteinander. Sie besaßen einen gemeinsamen Sinn für Musik.
Damit waren sie zum Beispiel auch das Gegenstück zu Yoshiki und Toshi, denn hide und Taiji waren beide der Ansicht, dass Rockmusik nicht von Balladen dominiert werden sollte. Sie waren für einen härteren Sound.

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Und gerade weil sie auf musikalischer Ebene so innig miteinander arbeiteten, dürfte es überraschen wenn man erfährt, dass sie kaum eine private Freundschaft miteinander verband. Sie gingen in ihrer Freizeit selten zusammen etwas trinken oder unternahmen andere Dinge. Nur ein Mal erschien hide bei Taiji zu Hause. Es war gegen Mittag und sie spielten auf ihren Gitarren. Plötzlich begann hide von einem Film zu erzählen, den er gesehen hatte und eine ganz bestimmte Szene hatte ihn stark beeindruckt. Er beschrieb diese Szene in all ihren Details und teilte seinem Gastgeber seine Gedanken darüber mit. Leider war dies nur ein sehr einseitiges Gespräch, denn hide legte in solchen Situationen eine Tiefgründigkeit an den Tag, der Taiji einfach nicht mehr zu folgen vermochte. So lächelte er nur bitter und entlockte seiner Gitarre weitere Töne, ohne auf hide's Worte einzugehen. Das war seine Art zu verbergen, dass er nicht verstand, worüber geredet wurde.

Über hide's Tod wurden viele Theorien angestellt. Taiji war davon überzeugt, dass es nur ein Unfall gewesen sein konnte. Gitarristen leiden aufgrund des Gewichts einer E-Gitarre desöfteren unter Verspannungen im Schulter- und Nackenbereich. hide's Methode, diese Verspannungen wieder los zu werden, bestand aus Dehnübungen mit Hilfe eines Handtuches. Und diese Übung vollzog er an einem Türknauf, woran er starb. In Kombination mit dem Alkohol, den er zuvor getrunken hatte, war dies vielleicht nicht der idealste Zeitpunkt um mit solch einer Methode gegen Verspannungen anzugehen.

Das erste Jahr nach hide's Tod war für Taiji das schlimmste. Er war vollkommen verwirrt und versuchte diesen Zustand mit Alkohol zu betäuben. Aber das führte nicht zum gewünschten Resultat sondern zu nur noch mehr Verwirrung und Leberschäden. Doch irgendwann begann er sich zu fragen: Würde hide gewollt haben, dass er so litt? Würde hide gewollt haben, dass er sich selbst aufgab? Nein, bestimmt nicht. hide hätte gewollt, dass er das macht, was er am besten konnte – und das war Musik. Er selbst, Taiji, war noch am leben und er hatte noch die Möglichkeit, so lange er lebte, Musik zu machen. Das wurde ihm durch hide's Tod nun bewusst und dieses Bewusstsein gab ihm die nötige Kraft, nach vorne zu kucken. Er hatte wieder Lebensmut gefasst und ein Ziel vor Augen.

 

 

Weiter geht es mit Teil 4.

 

 

Aufmacher: Julia Kefenhörster

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