Tattoos in Japan Teil 5: Einflüsse aus dem Westen

Geschrieben von
Bildcopyright: Kohki Sato, Don Ed Hardy, Yusuke Fukuno, Kenzi, Pudding Alamode, Wikimedia Commons

Im fünften und damit auch abschließenden Teil dieses Specials wird der Fokus auf die westlichen Einflüsse in der japanischen Tattookultur und den damit in Verbindung stehenden Entwicklungen geworfen. Auch der heutige Umgang mit Tattoos im japanischen Alltag findet hier Erwähnung.

Inhalt

Im Gegensatz zu Japan verfügt Europa über keine ureigene Tattoo-Kultur. Die ersten Tattoos, die die westliche Welt erreichten, befanden sich auf den Körpern von Matrosen aus Polynesien. Heute hat sich die Begeisterung und Faszination um diese Art des Körperschmucks weltweit so ausgebreitet, dass man an unterschiedlichsten Orten die verschiedensten Motive antreffen kann. Es ist absolut nichts Ungewöhnliches mehr, in einer deutschen Tattoo-Stube an einer Wand Vorlagen von asiatischen Drachen, keltischen Dolchen, ibanesischen Tribals und Oldschool-Schwalben nebeneinander hängen zu sehen.

Im traditionsbewussten Japan hingegen werden Irezumi noch heute gestochen, auf die klassische Art wie auch mit elektrischen Tätowiermaschinen. Aber auch dort ist inzwischen das Interesse an Motiven anderer Kulturen, besonders aus dem Westen, erwacht, wenn auch vorrangig bei der jüngeren Generation.

Einer der Esten, der westliche Tattoos nach Japan importierte, war der Amerikaner Norman Keith Collins, genannt „Sailor Jerry“. Während des Zweiten Weltkriegs diente er der Handelsmarine und kam seiner Tätowiertätigkeit an diversen Anlaufhäfen nach. Auf diese Art kam er auch mit den japanischen Irezumi-Tattoos in Kontakt.
In den 60er Jahren eröffnete er seinen letzten Tattoo-Laden in Honolulus Chinatown und er entwickelte eine Handelsbeziehung zum japanischen Tätowierer Horihide (Kazuo Oguri), um amerikanische Nadeln und Tätowiermaschinen gegen japanische Designvorlagen und technische Ratschläge auszutauschen. Trotz seiner Faszination für die japanischen Tattoo-Motive verzieh er Japan jedoch niemals den Angriff auf Pearl Harbor und sein Bestreben war es, die Japaner „mit den eigenen Waffen zu schlagen“. Daher „amerikanisierte“ er in seiner Arbeit das Design japanischer Tattoos.

Don Ed Hardy hatte weniger feindliche Ansichten gegenüber Japan und war von der dortigen Tätowierkunst tief beeindruckt. In den 70ern lebte er eine Zeit lang in Japan, ließ sich vom Tätowiermeister Horihide lehren und ging eine Freundschaft mit Horiyoshi III ein. Er erkannte, wie zeremoniell die Arbeitsweise eines japanischen Meisters mit seinem Kunden war und wie wenig das mit der westlichen Vorgehensweise zu tun hatte. Diese und weitere Erfahrungen nahm er mit nach Hause in die USA, wo es sein Anliegen wurde, das eher negative Straßen-Image dieser künstlerischen Ausdrucksweise in ein besseres Licht zu rücken.

So wie Sailor Jerry und Ed Hardy Elemente japanischer Tattoo-Kultur in ihre Arbeit integriert haben, hat auch Horiyoshi III Elemente der westlichen Welt aufgenommen - wie z.B. die elektrische Tätowiermaschine, mit der er inzwischen die Outlines seiner Tattoos sticht, Schattierungen und Koloration jedoch nach wie vor auf traditionelle Art und Weise durchführt. Von vielen Tebori-Meistern wird er hierfür geächtet, denn die elektrischen Nadeln zählen zu der westlichen Methode, von der sich traditionsbewusste Tätowierkünstler oftmals distanzieren. Andererseits gibt es aber auch japanische Tätowierer, die sich dem westlichen Stil verschrieben haben und von sich selbst sagen, kein Interesse an den klassischen Motiven wie zum Beispiel Drachen oder Kanji zu haben. Auch beinhaltet der Ablauf ihrer Arbeit nicht mehr die persönliche Verbundenheit zwischen Künstler und Kunde, wie es bei den traditionellen Meistern („Horishi“) üblich ist. Die japanische Tattoo-Szene hat sich hier deutlich in zwei Lager gespalten.

Ähnliche Einstellungen wie die jeweiligen Künstler haben demnach auch ihre Kunden. Besonders jüngere Leute, die an Tattoos interessiert sind, bevorzugen westliche Motive. Lediglich einer Gruppierung scheint diese Aufspaltung relativ egal zu sein und das sind Bandenmitglieder der Yakuza, die sich auf beiderlei Arten tätowieren lassen. Für viele Yakuza ist weniger die Arbeitstechnik als vielmehr das Motiv beziehungsweise das Tattoo als solches von Bedeutung. Denn ein Tattoo im Irezumi-Stil ist unwiderruflich und somit ein „Brandmark“ fürs Leben, welches sich lediglich durch lange Hemden und Hosen verbergen lässt. Und in eben dieser Markierung sehen viele Mitglieder den eindeutigen Beweis für ihre Bereitschaft der Zugehörigkeit der Yakuza.

Eine andere Gruppierung, die ebenfalls Tattoos als ein Gruppenerkennungsmerkmal für sich entdeckt hat, sind Banden wie die Bosozoku oder die Yankees. Hier sind allerdings wiederum westliche Motive wie Pin Up-Girls, blutende Herzen und Dolche stark gefragt. Die Qualität ist auch eine völlig andere: Da viele solcher Bandenmitglieder verhältnismäßig jung sind, oftmals noch zur Schule gehen und daher nur äußerst bedingt über Zeit und Geld verfügen, sind ihre Tattoos nicht selten selbst gestochen. Interesse an der eigentlichen Kunst von Tattoos und damit auch an einer höheren Qualität eben selbiger haben viele Betroffene gar nicht, da sie Tattoos innerhalb ihrer Gruppe als Erkennungsmerkmal definieren. Die brauchen nicht hübsch zu sein, sondern lediglich sichtbar.

Und natürlich gibt es auch in Japan – wie in vielen anderen Kulturen ebenfalls – junge Leute, die gegen das eigene Elternhaus und die alten Werte und Normen vorheriger Generationen rebellieren und sich deshalb Tattoos stechen lassen. Allerdings sind die Reaktionen der Eltern auf solche Aktionen in Form von Panik bis hin zu Wut bereits vorprogrammiert, weshalb viele der Tätowierten ihren Eltern oft lange Zeit gar nicht erst ihre Tat beichten. Manche von ihnen verbergen es über Jahre.
Diese Panik als Reaktion auf Tattoos findet sich generell weitläufig im alltäglichen Leben der Japaner wieder: Obwohl die Yakuza nur eine von mehreren verschiedenen Gruppen sind, die Tattoos verwenden, sind sie es doch, die solch einen Eindruck bei der Allgemeinbevölkerung des Landes hinterlassen haben, dass Tattoos automatisch mit ihnen gleichgesetzt werden. Tattoos gleich Yakuza, lautet daher bei vielen Leuten die voreingenommene Rechnung.

Tätowierte Japaner bekommen das auch dementsprechend zu spüren: Viele Badeanstalten und heiße Quellen dürfen nicht von Leuten mit Tattoos betreten werden, außer sie wurden abgedeckt und somit „unsichtbar“ gemacht. Angestellte werden von ihren Vorgesetzten dazu aufgefordert, ihre Tattoos ebenfalls unter der Kleidung zu verbergen, besonders wenn eben diese Angestellten Kundenkontakte pflegen. Und selbst bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel bleibt Tätowierten das Unwohlsein ihrer Mitmenschen in unmittelbarer Nähe nicht verborgen.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch Arbeitsbereiche, in denen Tattoos inzwischen regelrecht erwünscht sind. So gibt es beispielsweise Stripclubs und Terekura (Telefonclubs), die sich auf tätowierte Frauen als Angestellte spezialisiert haben. Und auch in der Musik-Szene mit Schwerpunkt Rockmusik kann man langsam aber sicher eine Zunahme an tätowierten Körpern feststellen. Letzteres hat wiederum deutlich westliche Einflüsse, kamen Tattoos bei westlichen Rock- und Heavy Metal-Bands im Laufe der 80er Jahre doch stark in Mode. Allerdings ist bei japanischen Musikern zu beobachten, dass diese sich sowohl für den traditionellen Irezumi-Stil als auch für westliche Motive begeistern können und manche sogar beides miteinander kombinieren.

Im Großen und Ganzen ist das Thema „Tattoo“ im japanischen Mainstream derzeitig also noch ein rotes Tuch. Aber wenn man genauer hinguckt, lassen sich die einzelnen Gruppen bereits herauskristallisieren, die mit diesem Thema anders umzugehen wissen. Hinzu kommt der Wandel innerhalb der Szene selbst, der womöglich auch Auswirkungen auf den allgemeinen Umgang mit Tattoos mit sich bringen könnte. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich diese Subkultur innerhalb der japanischen Kultur zukünftig weiter entwickelt.

 

Neuste Artikel

Welcome to the N.H.K.! Vol. 1 (DVD)

Der Hikikomori Tatsuhiro Sato ist der großen Weltverschwörung auf der Spur gekommen:
Mithilfe von Unterhaltungsmedien will die NHK alle Japaner beeinflussen und eine Armee aus Stubenhockern züchten!

Violet Evergarden - The Movie (Blu-ray) – Limited Special Edition

Violet versteht jetzt die Bedeutung der Worte „Ich liebe dich“, was ihr sehr bei ihrer Arbeit als Autonome-Korrespondenz-Assistentin hilft. Dennoch hat sie niemanden, zu dem sie diese Worte sagen kann.

ReLife – Final Arc (Blu-ray)

ReLife spielt mit deinen Gefühlen, deinen Hoffnungen und deiner Vorstellung von deinem idealen Selbst!

Psycho Pass Staffel 3 Vol 2 - Blu-ray

Eine Macht nimmt in Japan Gestalt an, die das Sybill-System herausfordert und erneut die Farbtonüberprüfung zu umgehen versucht. Die Inspektoren beider Organisationen versuchen, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen.

Kolumne

Wie übersteht man das restliche Jahr?

Viele verwirrende Maßnahmen wurden wieder einmal von unserer Regierung ausgesprochen. Totaler Lockdown, aber Lockerungen zu Weihnachten und dafür kein Silvester. Wer blickt denn da noch durch?
Wer somit einfach zu Hause bleiben und sich bis zum nächsten Jahr nicht mehr von der Couch bewegen will, bekommt von uns ein paar Tipps gegen Langeweile.

Shiso Burger Hamburg

Wir waren zu zweit für euch bei Shiso Burger Hamburg, um euch sagen zu können, ob sich ein Besuch lohnt.