Dir en Grey in der Live Music Hall in Köln

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Bildcopyright: Dir en Grey / OHP

Die Legenden sind zurück: Im Rahmen ihrer ‚Wearing Human Skin‘-Tour beehrten Dir en Grey Deutschland nach drei Jahren mit zwei Konzerten. Wir waren am 19. Oktober in der Live Music Hall in Köln dabei.

Inhalt

Anmerkung:

Aufgrund einer ausgebliebenen Antwort des Veranstalters bezüglich Bildmaterials können wir euch zu diesem Bericht leider keine Live-Fotos präsentieren.
 



Wenn die japanische Rock-Größe Dir en Grey nach drei Jahren nach Europa zurückkehrt, lassen sich die Fans nicht lange bitten. So waren sowohl VIP- als auch reguläre Tickets rasch ausverkauft und die Halle nach weitestgehend reibungslosem Einlass gut gefüllt. Eine die Rückseite der Bühne ausfüllende Leinwand unterstrich die Show mit einer individualisierten Licht- und Diashow.


Nach angespannter Wartezeit betraten die Künstler gegen viertel nach acht die Bühne und wurden von begeisterten Fans empfangen. Der musikalische Abend wurde ohne Umschweife eröffnet, der erste Song von den meisten Fans sofort erkannt. ‚Utafumi‘ wechselt zwischen aggressivem Metal mit wilden Shouts und getragenem Gesang sowie einem ruhigeren, die Spannung haltenden Mittelteil hin und her. Die Stimmung war sofort ausgelassen, es bedurfte keiner weiteren Aufwärmphase.

Als zweites folgte die neue Version des 2003 erstmals erschienenen Songs ‚Fukai‘. Die langsamere Nummer büßt in ihrer Neufassung keineswegs die ihr eigentümlichen Charakteristika ein und rief bei den langjährigen, eingefleischten Fans Erinnerungen an ‚voreuropäische‘ Zeiten der Band wach.


Es folgte ‚Ash‘, ebenfalls in seiner Neuauflage. Auch hier wechselte die Stimmung der Nummer von anfänglich härteren Klängen zu einem melodischen Refrain sowie einem an Geschwindigkeit aufnehmenden Instrumental-Teil, ehe das anfängliche Schema, plus melodischem Refrain, wieder aufgenommen wurde.


Der Übergang zum vierten Song gelang fließend: Die neue Fassung von ‚Wake‘ kehrte erneut zu einer ruhigeren, doch nachdenklichen Stimmung zurück. Dennoch heizte die Atmosphäre hier noch weiter auf, da der Song für viele Fans seit langen Jahren zur musikalischen Laufbahn der Band dazugehört.

Mit einer geruhsamen Klaviereinspielung wurde zum fünften Song übergeleitet: ‚Rinkaku‘ zählt zu den neueren Songs und zeichnet sich ebenfalls durch seinen langsameren Charakter aus. Kyos vor allem in höheren Oktaven angesiedelter Gesang wurde von Handgesten desselben und kontinuierlichen Gitarrenriffs begleitet. Während des Instrumentalteils loderte Fanjubel auf, der jedoch passend zur Wiederkehr der folgenden Strophe wieder abschwächte.


Mit einem abrupten Ende verdunkelte sich die Beleuchtung für einen Moment nahezu vollständig, ehe ‚Devote my Life‘ mit Speed-Drumming, verzerrten Gitarrenriffs und vorwiegend Shouts und Growls seitens Kyo über das Publikum hereinbrach. Geballte zweidreiviertel Minuten feinstes Dark Metal rissen die Fans von Anfang an mit sich, ebenso wie die flashartige Diashow verschiedener Gewaltdarstellungen.


Auch diese Nummer endete schlagartig, doch es gelang ‚Keibetsu to Hajimari‘, sich nahtlos an seinen Vorgänger anzuschließen. Ebenfalls von schnelleren, härteren Riffs und Shouts und Growling dominiert, rockten die Fans hier ausgelassen mit.

Nach zwei energetischen Nummern folgte mit ‚Phenomenon‘ abermals ein ruhigerer Song in typischer Dir en Grey-Manier. Nahezu quälend langsam marschieren Basedrum und Bass durch das Stück, begleitet von virtuosen Licks und zunächst geruhsamem Gesang. Die nachdenkliche Stimmung übertrug sich auf die Fans und wurde von ‚The Blossoming Beelzebub‘ nahtlos weitergeführt.


Dessen Performance wurde zu der wohl am eindrucksvollsten inszenierten: Nicht nur, dass Kyo das lange Mikrofonkabel schleichend langsam auf- und wieder abwickelte – er tat dies auf Magenhöhe, sodass der Eindruck entstand, er ziehe sich die Schnur, alias seiner Gedärme, aus dem Leib. Dies wurde nicht zuletzt durch die rote Farbe des Kabels unterstrichen.


Darüber hinaus wurde ein technisches Gimmick gezückt: Mithilfe einer Kamera wurde Kyos Gesicht live auf die Leinwand übertragen; der Sänger hielt solange dem Publikum den Rücken zugewandt. Über fünf Minuten lang wurden die Fans Zeugen anspruchsvollen, doch gekonntem Mimik- und Gestikspiels, welches den Sänger auszeichnet und ein unabdingliches Stilelement einer jeden Dir en Grey-Show ist. Grimassen schneiden, sich mit den Fingernägeln durch das Gesicht fahren, angedeutet etwas auffressen und an den Fingern kauen sind nur einige Beispiele einer bewusst aufs Schocken und Provokation ausgelegten Bühnenshow.


Musikalisch schien der Song die ganze Zeit über wie ein wildes Tier auf der Lauer zu liegen; Kyos Stimmgewalt konnte jederzeit ungebändigt hervorbrechen. Der Sänger präsentierte im Verlauf des Songs die gesamte Bandbreite seines Könnens: Von hohem, mönchsartigem Gesang zu Beginn über quietschenden Katzenjammer bis hin zu Fauchen, wieder melodischen Einlagen und brutalem Geschrei wurden nahezu alle Sektionen des menschlichen Stimmspektrums abgedeckt. Die Show hinterließ einen bleibenden Eindruck: Erst nachdem der letzte Akkord verklungen war, brandete Applaus auf.

Als zehntes folgte mit ‚Ranunculus‘ eine Ballade – sofern man bei Dir en Grey überhaupt von dieser Songgattung sprechen kann. Der Zugang zur Bedeutung des Textes wurde durch die englische Übersetzung auf der Leinwand erleichtert. Dennoch konnten die eingefleischten Fans die Lyrics auf Japanisch mitsingen, sodass die Halle zudem von zahlreichen Stimmen erfüllt wurde.


Mit ‚Ningen wo Kaburu‘ kehrte eine düstere, brutale Atmosphäre zurück: Harte Riffs, kraftvolle Shouts auch von den anderen Members und satter Bass und Drums lösten sich im Refrain im klassisch-melodischen Stil auf, um direkt im Anschluss wieder zur vorherigen Härte zurückzukehren. Die Fans headbangten und sangen lautstark mit, kamen zudem in den Genuss von Ausschnitten des Musikvideos.


Der zwölfte Song war ebenfalls von härteren Klängen geprägt: Bei ‚Values of Madness‘ konnte Kyo erneut zunächst verschiedenste Töne der tieferen, anschließend ebenso höhere Stimmlagen entfalten; passend dazu wurden die Shouts ‚Go mad‘ und ‚Can't love myself‘ auf der Leinwand eingespielt. Diese Nummer fand ebenso ein rasches Ende; im Anschluss wechselten die Members in einer kurzen Pause die Instrumente.

Der dreizehnte Song erfreute sich trotz seines provokanten Inhalts erstaunlicher Beliebtheit. ‚The Third Empire‘ ist vor allem bei einem Auftritt in Deutschland anzuzweifeln, darf aber keinesfalls als propagandistisch gewertet werden. Musikalisch hingegen ist bei ‚The Third Empire‘ nichts anzuzweifeln: Der aggressive Song implizierte eine energetische Performance und riss die Fans nochmals mit voller Wucht mit.


Zum letzten Song, der Neuauflage von ‚Beautiful Dirt‘, wurde noch einmal ordentlich abgerockt: Mit einer hektischen Diashow sowie ins Publikum strahlenden Flashlights entluden die Künstler ihre restliche Energie. Anschließend verließen Dir en Grey rasch die Bühne; eine Rückkehr war hierbei vorprogrammiert.


Nach circa zehn Minuten, in denen die Fans lautstark nach einer Zugabe und den Namen der Band riefen, kehrten die aufgefrischten Musiker in Tourshirts – ausgenommen Kyo und Shinya – auf die Bühne zurück. Der insgesamt fünfzehnte Song sollte einer der bedeutungsschwersten des Abends werden: ‚The Final‘ war für viele Fans mit verschiedensten Erinnerungen verbunden. Dementsprechend wurde diese Nummer von nahezu allen mitgesungen und gebührend bejubelt.


Im Gegensatz zu seinem Vorgänger entfesselte ‚Uroko‘ nun nochmals hartes, rifflastiges Speed-Metal, war aber ebenso von einem gekonnten Gitarren-Instrumental sowie dem Wechsel von melodischem sowie höheren Gesang geprägt.

Im Folgenden wandte sich Kyo mit einem vierfachen ‚Germany‘ sowie einem ‚Last song‘ das erste und einzige Mal ans Publikum: Die alte Fassung von ‚Rasetsukoku‘ entkam ein letztes Mal volle Energie in Form von aggressiven Riffs, einer penetranten Bass- und Drum-Line und wilden Shouts. Nicht zuletzt der rasante Wechsel von weißen und roten Kanji auf der Leinwand sowie gleichfarbige Flashlights unterstrichen den gehetzten Eindruck des Songs. Die Nummer wurde mit einem Handstreich Kyos besiegelt, die Instrumente im Anschluss nochmals auf Anschlag gebracht. Der letzte Akkord verhallte erst, nachdem die Musiker ihre Instrumente bereits abgelegt hatten und sich winkend und dankend vom Publikum verabschiedeten.


Die vordersten Reihen kamen in den Genuss ausgiebiger Duschen aus allen verbliebenen Wasserflaschen, die ebenso wie zahlreiche Plektren, Shinyas Schlagzeugstöcke und Daisukes durchgeschwitztes Handtuch neue Besitzer fanden. Als Letzter verließ Bandleader Kaoru mit einer entschlossen in die Höhe gereckten Faust die Bühne – eine Wiederkehr dürfte somit besiegelt sein.

Fazit!


Wurde der Beginn des Abends sowie das Ende der regulären Show hauptsächlich von Neuauflagen alter Songs geprägt, so lag das Gewicht des mittleren Teils auf aktuellen Veröffentlichungen. Insgesamt ergab sich also ein durchmischtes Songprogramm, was den Eindruck bestärkt, dass Dir en Grey auch nach mittlerweile fast zweiundzwanzig Jahren Bandgeschichte nichts von ihrer Energie und ihrem Facettenreichtum eingebüßt haben.


Noch immer mal aggressiv und laut, aber ebenso nachdenklich und gar einfühlsam begibt sich der Zuschauer in ganz eigene, psychoanalytische Dimensionen der tiefsten menschlichen Abgründe, sozialer Missstände und allen Übels in der Welt. Erneut haben Dir en Grey diese Bandbreite vollends abgedeckt – wer die Künstler kennt und liebt, ist wieder voll auf seine Kosten gekommen.

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