Shibusa Shirazu Orchestra in Jena

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Bildcopyright: Shibusa Shirazu Orchestra , Kathrin Hommel

Graue Wolken hingen über dem Theatervorplatz, als sich Punkt 20 Uhr ein Orkan über Jena ankündigte. Er zerstörte keine Dächer, sondern eher die Grenzen der Musik: Zur nunmehr 19. Kulturarena gab sich das Shibusa Shirazu Orchestra aus Tokio die Ehre.

Inhalt

Zum Auftakt eines zweistündigen Klangerlebnisses der besonderen Art zogen einzelne Musiker, Butoh-Tänzer und Performancekünstler in einer kleinen Parade ihre Runde um die gespannt wartenden Zuschauer. Von Fotografen wie Motten umschwärmt schürten sie die Erwartungen des Publikums aufs Äußerste, bis alle Musiker auf der Bühne ihre Plätze eingenommen hatten und dann ließen sie sich auch nicht lange bitten. Unter Führung von Daisuke Fuwa entfesselte sich ein regelrechtes Gewitter an Klängen – ein unvergleichlicher Mix aus Jazz, traditionellen Gagaku-Liedern, westlichem Funk, Ska und Rock, gelegentlichen Triphop-Anklängen und Balkanbeat. Vor 21 Jahren suchte Bassist Daisuke Fuwa Mitstreiter für Theaterperformances der japanischen Avantgardegruppe Hakken No Kai und fand reichlich Anklang. Mittlerweile beteiligen sich an die 100 Künstler an diesem Großprojekt, wobei sich jeweils 30 bis 40 zu den gemeinsamen Shows zusammenfinden.

Das heutige rund 20-köpfige Jazzorchester mit ihren Butoh-Tänzern, Go-Go-Girls und Aktionskünstlern gab einen schnellen Rhythmus vor – gemäß ihrer Namensbedeutung "never be cool" (Sei immer heißblütig!). Und wie heißblütig sie waren! Innerhalb weniger Minuten hatte es die ersten Zuschauer regelrecht von den Sitzen gezogen. Der Rest musste wohl scheinbar den ersten Schock ob der ungewöhnlichen Performance verdauen.
Doch wie von selbst begann erst der Fuß zu wippen und ehe man sich versah, stand man auch schon tanzend und selbstverloren grinsend in einer Menge Menschen, die unterschiedlicher nicht hätten sein können, aber ebenfalls der Anziehungskraft der Musik und ihrer sympathischen Träger erlegen waren.

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Ohne große Pausen legte das Freestyle-Orchester ein wahnsinniges Tempo vor – allen voran Sänger und MC Shinichi Watabe in seinem farbenfrohen happi und hachimaki. Auf Japanisch, Englisch und mit einigen Brocken Deutsch rockte er über die Bühne, während hinter ihm Daisuke Fuwa rauchend sein Orchester in Schach hielt und anleitete. Neben und auf der Bühne präsentierten sich in grotesken und zum Teil zeitlupenhaften Bewegungen die vollkommen weiß geschminkten Butoh-Tänzer. Im kompletten Kontrast dazu tanzten sich zwei Go-Go-Girls nonstop die Seele aus dem Leib, in mehrmals wechselnden schrillen Kleidern und Perücken. Dazu lief im Hintergrund stets eine Videoinstallation, die jedoch leider nicht immer gut zu sehen war.

Nach einer gefühlten Achterbahn der Klänge folgte ein ruhiger Part mit einem Mundharmonika-Solo und einer Ansprache Watabes an die Zuschauer, denen er auf Deutsch dankte und zu einer großen Partygesellschaft verschwor. "Let's have a party!" und "Enjoy yourselfs!" wiederholte er immer wieder enthusiastisch und studierte mit dem Publikum für den nächsten Song "We are a Fisherman Band" einen Ruf ein, was für einige Lacher auf beiden Seiten sorgte.

Flott ging es im Programm weiter – sowohl sich selbst als auch dem Publikum wurde kaum eine Verschnaufpause gegönnt. Versunken in ihrer eigenen Welt, fuhren sie mit ungeheurer Spielfreude zu Höchstleistungen auf. In regelmäßigen Abständen gestand Fuwa einem bestimmten Instrument ein Solo zu, das energisch vorgetragen wurde und für Begeisterung sorgte. Erst ein gefühlvolles Duett von Watabe und Sängerin Aya Murodate, begleitet von leisen Saxophontönen, ließ die kochende Stimmung etwas abkühlen. Im Hintergrund arbeitete derweil ein Künstler an einer Tuschezeichnung in Orange und Schwarz, deren Sinn sich dem Publikum im Laufe des Konzerts erschließen sollte. Denn bald eroberte ein riesiger silberner Drache unter lautem Johlen und Klatschen erst die Bühne und dann den wolkenverhangenen Himmel. Ihm folgten einige Musiker mit Saxophon und Trompete, die dem einen oder anderen Zuschauer ganz persönlich und lautstark den Marsch bliesen, während das restliche Ensemble weiterspielte. Nach mehreren Runden verschwand der Drache wieder im Hintergrund der Bühne und wachte in der verbleibenden Zeit über die Künstler.
 

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Fazit!

Nach knapp zwei Stunden Schwerstarbeit nahte der Abschied, doch mit "Naadam" und "Theme of Honda Koumuten" wurde es ein furioses Finale. Erneut forderte Watabe die tanzende Menschenmenge zum Mitsingen auf und so sang oder gröhlte zur Freude des Ensembles so gut wie jeder mit. Auch Daisuke Fuwa, der die meiste Zeit mit dem Rücken zum Publikum saß, sprang inzwischen mit über die Bühne und feuerte die Menge an.
Einige Musiker ließen es sich nicht nehmen, mit zwei Instrumenten gleichzeitig zu spielen, was auch bei ihren Kollegen für Belustigung und Beifall sorgte.
Genau 22 Uhr war jedoch Schluss – das Licht ging aus und trotz lauter Forderung nach Zugabe und frenetischem Applaus blieb die Bühne leer. Am und neben dem Merchandisestand kam man dann allerdings doch noch einmal in Kontakt mit einigen Bandmitgliedern, die ebenso ausgepowert wirkten wie das Publikum. Neben der freudigen Bereitschaft, Fotos zu schießen, entwickelten sich mit den sympathischen Männern und Frauen hier und da sogar kurze Gespräche über die Performance.
Verschwitzt, heiser, um einige Hörzellen beraubt aber glücklich stand der Heimweg bevor, begleitet von dem sicheren Gedanken, diese Band nicht so schnell zu vergessen. Dafür haben sie eindrucksvoll gesorgt. In diesem Sinne: Wir sind nicht Deutschland! "We are Shibusa Shirazu!"

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