Interview mit dem cass verlag

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Bildcopyright: ©cass verlag; Jaqueline Demir

Wir haben auf der Leipziger Buchmesse 2019 die Gelegenheit erhalten, Frau Cassing vom cass verlag zu interviewen. Sie erzählte uns, was das Besondere an ihrem Verlag ist, wie es zur Gründung kam und wie ihr Lieblingsbuchladen in Japan aussieht.

Inhalt

animePRO: Frau Cassing, ich hätte gern einmal eine kurze Vorstellung von Ihnen. Wer sind Sie genau und was machen Sie im Cass-Verlag?
Katja Cassing: Mein Name ist Katja Cassing, Geschäftsführerin und Begründerin des cass-Verlags, den ich zusammen mit meinem Mann, Jürgen Stalph, führe. Ich bin auch gleichzeitig Übersetzerin und im Lektorat tätig. In unserem kleinen Verlag machen wir zu Zweit alles, wofür man in einem großen viele verschiedene Abteilungen hat. Wir haben natürlich auch feste freie Leute, mit denen wir zusammen arbeiten, aber all die Dinge, die mit der Buchproduktion zusammenhängen, wie das Finden der Titel, Übersetzen, Lektorat und vieles mehr - machen wir tatsächlich selbst.

animePRO: Oh, das ist dann wahrscheinlich ziemlich viel Arbeit, oder?
Katja Cassing: Ist viel Arbeit, aber es ist für mich auch eine große Freude, weil man alles selbst bestimmen kann in einem kleinen Verlag. Wir bestimmen zu Zweit, welche Bücher wir rausgeben wollen. Man entscheidet auch, wie das Buch aussieht. Ist es ein fester Einband oder ein Taschenbuch, wie sieht der Umschlag aus, hat es ein Leseband, bis hin zum Papier. Ich bin Japanologin, komme also nicht aus dem Verlagswesen und musste erstmal fragen und alles rund herum lernen, was natürlich super spannend ist, das ist aber auch das Schöne. Man lernt total viel und das ist einfach großartig! Natürlich verkauft sich nicht jeder Titel mit großer Stückzahl – schön wären 50.000, dann könnten wir uns ganz viele Mitarbeiter leisten, soweit sind wir natürlich noch längst nicht. Da muss man viele Sachen noch selber machen, aber der Moment, wenn ein neues Buch fertig ist, wenn man guckt, habe ich auch nichts vergessen? Ist der Name des Autors auch richtig auf dem Cover oder hat sich da ein Fehler eingeschlichen und ist alles so wie es sein soll? Und wenn es dann erscheint, ist es einfach großartig und es gibt nichts Schöneres!

animePRO: Wann ist der Verlag gegründet worden und was sind Ihre Ziele?
Katja Cassing: Im Jahre 2000, also feiern wir nächstes Jahr 20-jähriges Jubiläum. In Tokyo noch gegründet und jetzt lange in Ostwestfalen, weil ich eine Adresse brauchte, also meine Heimatadresse. Wir sind jetzt aber umgezogen und sind seit Anfang des Jahres ein Thüringer Verlag und ich will nicht reich werden, nur so viel erwirtschaften, dass der Verlag davon weiterleben kann und dann bin ich schon zufrieden.

animePRO: Wie kam es zur Gründung?
Katja Cassing: Ich bin Japanologin, das erklärt den Schwerpunkt des Verlags, mein Mann auch. Die Stellen in dieser Wissenschaft, das sind alles Schleudersitze. Man kann natürlich fachfremd arbeiten, doch ich liebe die japanische Sprache, wollte unbedingt damit etwas zu tun haben, aber in der Japanologie mit dem Hochschulrahmengesetz, da ist nach 12 Jahren der Ofen aus. Ich habe aber immer schon gerne gelesen und die Japaner tun das auch, das wissen viele nicht! Es gibt nur eine ganz kleine Analphabetenrate und es werden auch total viele Krimis gelesen. Ich bin selbst passionierte Krimileserin und dachte immer: Es gibt so viele tolle Krimis und kein Mensch übersetzt sie! Oh mein Gott, das ist eine Lücke, die man schließen muss! Da dachte ich, du kannst Japanisch und musst dir überlegen, was du in Zukunft machen willst, du magst Bücher und du willst bestimmen, da ist Verlegerin ja genau der richtige Job. Das war so der Hintergrund.

animePRO: Jetzt haben Sie ja gesagt, sie bestimmen selber, welches Werk in Ihrem Verlag erscheinen soll. Wie gehen Sie da vor?
Katja Cassing: Wir sind tatsächlich bundesweit die einzigen mit dem Schwerpunkt Japan und wir haben einen Vorteil, weil wir Japanisch können, das eröffnet natürlich ganz andere Möglichkeiten bei der Titelfindung. Die großen Verlage, die nicht zufällig jemanden im Lektorat haben, der Japanisch kann, sind auf Agenten angewiesen, auf Exposes. Die gucken, was haben die Franzosen übersetzt oder die Amerikaner. Wir gehen den direkten Weg! Klar, diese Exposes kommen bei uns auch, aber ich gehe in Tokyo in einen Buchladen und gucke, was hat hier Preise bekommen, was ist interessant und dann kaufe ich ein und wenn mir eins richtig gut gefällt, dann verlege ich es. Das ist eben auch das Tolle, wenn man keinen großen Verlag hat. Ich muss nur meinen Mann überzeugen und selbst, wenn er sich nicht sicher ist, ich aber schon, dann ist die Entscheidung für das Buch oft schon gefallen.
 

Und noch eine Sache: Ich werde immer gefragt, ob die Autoren bei uns bekannt sind. Ich wähle immer nur nach eigenen Vorlieben aus, ich gucke nicht, ob der Autor bekannt ist und wir müssen als kleiner Verlag auch nicht direkt darüber nachdenken, ob der Titel sich 30.000 Mal verkauft, um meine Angestellten zu finanzieren. Außerdem denken wir in die Breite, denn als kleiner Verlag nur ein oder zwei Autoren anzubieten, wäre auf lange Sicht tödlich, deshalb haben wir das breite Programm und über die Jahre ungefähr 30 Bücher veröffentlicht. Wir machen etwa vier im Jahr, zwei im Frühjahr, zwei im Herbst. Man muss die Perlen finden, man muss sie übersetzen und ich würde mich da über Übersetzernachwuchs sehr freuen, davon gibt es für das Japanische hauptberuflich in Deutschland einfach zu wenige, man kann sie an einer Hand abzählen. Es kommt vor, dass mich dann Kollegen anrufen und mich fragen, ob ich nicht noch Kapazitäten habe, weil sie nicht schieben können und auf die nächsten zwei Jahre ausgebucht sind, was mich natürlich freut, weil ich gerne übersetze, auch für andere Verlage. Aus dieser Schatzkiste Japan könnte man noch viel mehr heben.

animePRO: Das hätte ich jetzt nicht gedacht, dass das so wenige sind. Was hat sie denn dazu bewegt, nur japanische Werke zu verlegen und sich auf nichts anderes zu spezialisieren?
Katja Cassing: Zum Einen braucht man als Verlag einfach eine Richtung und zum Anderen: Wenn ich mich im Verlagswesen ausgekannt hätte, dann hätte ich gesagt „Ja, Japan ist interessant, kann man machen“, da hätte ich die Expertise gehabt, aber bei mir war es so, dass ich die Expertise Japan habe und ich musste mir den ganzen Rest erst aneignen und dann half dann nur die Konzentration auf das, was ich kann. Ich versuche da, das Beste rauszuholen und versuche, das andere zu lernen. Die Idee war auch, dass die Leute wissen, „cass gleich Japan.“ Alles andere wäre vollkommene Überforderung gewesen. Wenn man sich vorstellt, allein Japan, das sind 128 Millionen Menschen, die lesen alle furchtbar viel. Es gibt sehr viele Verlage, sehr viele Bücher. Mein Lieblingsbuchladen in Ikebukoro hat 10 Stockwerke, ich muss mir da einen Tag für Zeit nehmen, wie in einem Kaufhaus. Das ist das Paradies und gleichzeitig auch schrecklich in gewisser Weise, so viele Möglichkeiten und eine solche Vielfalt. Wenn ich jetzt noch aus anderen Ländern Titel raussuchen müsste, wäre ich vollkommen überfordert.

animePRO: Wie hat sich der Verlag in Laufe der Jahre entwickelt?
Katja Cassing: Der hat sich sehr gut entwickelt, ich bin voll zufrieden und ein sehr glücklicher Mensch. Am Anfang war das Ziel, irgendwann soll der Verlag mich tragen, aber dann noch mit der Unsicherheit eines Brotjobs im Rücken. Ich gehöre nicht zu den ganz super risikofreudigen Leuten, das ist für mich nichts, dann könnte ich nicht mehr schlafen. Angefangen also mit dem Einschränkungen des Brotjobs, konnte ich noch nicht so viele Titel produzieren, wie ich produzieren wollte. Im Laufe der Zeit hat sich die Schlagzahl der Titel erhöht. Seit fünf oder sechs Jahren machen wir eine zunehmende Professionalisierung durch in Form von der Zusammenarbeit mit einer Verlagsvertretung, also Leute, die in die Buchläden gehen und für den cass-Verlag werben, verbunden mit einer halbjährigen Vorschau und seit zwei Jahren mit einer Presseagentur. Vielleicht in fünf Jahren Imperium? Nein, das wäre natürlich großartig, aber ich hoffe, ich kann es halten mit den vier Titeln pro Jahr, das wäre so mein Ziel. Ich wünsche mir natürlich, dass noch mehr Leute die Bücher kaufen, aber ich bin vorsichtig optimistisch, weil ich auch viele schöne Rückmeldungen bekomme.

animePRO: Es freut uns sehr, dass es so gut für Sie läuft! Hätten sie denn ein, zwei Empfehlungen für uns aus Ihrem Programm, die Sie Leseratten mit auf den Weg geben würden?
Katja Cassing: Oft werde ich von den japanischen Agenturen gefragt, was wir suchen und welchen roten Faden es gibt und uns ist aufgefallen, dass wir viele Außenseiter haben, so gesellschaftliche Underdogs und in diesem Zusammenhang haben wir einen Titel, den wir grandios und wichtig finden: „Kein schönerer Ort.“ Es gab ja die Katastrophe Fukushima im Jahre 2011 und 2014 hat Manichi Yoshimura ein Buch geschrieben, in dem es nicht um Fukushima selbst geht, sondern um etwas anderes ganz Wichtiges, weshalb alle es lesen sollten: um das Danach! In diesem Fall ist es so, wir sind in einer fiktiven Ortschaft in Japan und dort ist eine Katastrophe passiert, es wird nie aufgelöst, um was für eine Katastrophe es sich gehandelt hat, aber es spielt auch keine Rolle. Man erfährt nur, die Leute waren acht Jahre lang evakuiert, dann sind sie wieder angesiedelt worden und jetzt leben die da und das Ganze wird erzählt – und das ist ein Geniestreich des Autors – aus der Sicht eines 11-jährigen Mädchens. Sie sieht alles, sie beschreibt es, aber sie kann die Sachen nicht einordnen und da sind ganz viele merkwürdige Dinge. Die Mutter ist unglaublich dick, die Nachbarn bespitzeln einander und die Mutter achtet immer darauf, sitz' nicht da, du musst ordentlich sitzen am Fenster. In der Schule werden Kinder krank und sterben, Lehrer werden abgeholt, es gibt aber eine Hymne in diesem Ort. Alle stimmen die an, bei jeder Gelegenheit, „Umizuka, Umizuka, der Fisch ist der beste, das Gemüse ist das beste, wir müssen zusammenhalten“ und diese düstere Stimmung baut sich auf und am Ende wird das alles aufgelöst und der Autor übt sehr laut Kritik, was sehr unüblich für die Japaner ist. Ich möchte nichts vorweg nehmen, bitte lesen Sie das Buch unbedingt. Das haben wir letztes Jahr rausgebracht.


Ein anderes Buch, „  Der Sonnenschirm des Terroristen  “, das ist auch was Besonderes. Da hat mir ein großer Verlag dieses Exposé zu einem Krimi gegeben auf Englisch, hab das mitgenommen und Gott sei Dank weiß der Verlag, dass ich immer vorher das japanische Original lesen will, bevor ich mich entscheide. Ich habe dieses englische Exposé nicht verstanden und wollte schon absagen, aber dann kam das Buch und ich habe angefangen zu lesen und habe meiner Familie abends – also meiner Tochter und meinem Mann – davon erzählt. Es geht total spannend los – Bombenanschlag in Shinjuku, viele Tote! Am Abend hat meine Familie dann gefragt „Hast du weiter gelesen? Wir wollen wissen, wie es weitergeht!“, weil es einfach so spannend war! Ein großartiger Krimi! Ich bin überzeugt davon, wenn dieses englische Exposé besser gewesen wäre, hätte es ein anderer Verlag vor mir abgegriffen. Er war sogar drei Monate lang auf der Bestenliste der Frankfurter Allgemeinen und dem Deutschlandfunk. Der Autor ist auch eigentlich gar kein Krimiautor, sondern Romanist, war aber passionierter Mahjong Spieler und hatte Schulden bei der Mafia, was in Japan wirklich sehr gefährlich ist. Irgendwann hat er seinen Verlegerkollegen angerufen und hat gefragt, welcher Literaturpreis dotiert ist, er bräuchte Geld. Dieser hat den Edogawa Preis vorgeschlagen, dafür müsste er aber einen Krimi schreiben. Gesagt, getan! Und er hat den Preis bekommen! Auch hier ist der Protagonist ein Außenseiter: kein Polizist, sondern ein abgehalfterter Alkoholiker, Mitte Vierzig. Der hat so eine kleine Bar, die er betreibt und lebt zurzeit im Untergrund, weil er bei den Studentenunruhen vor zwei Jahrzehnten aktiv gewesen war. Der ist in diesem Park, als die Bombe hochgeht, weil er bei schönem Wetter immer dort liegt und säuft. Zwei Leute, die er aus Studienzeiten kennt, kommen zu Tode und das sind ihm zu viele Zufälle. Ein großartiger Krimi!

animePRO: Noch eine Frage zum Schluss: wie kam es denn zu dem Namen cass-Verlag? Ist er von Ihrem Namen abgeleitet?
Katja Cassing: Mein Mann hatte die glorreiche Idee, ich wollte das eigentlich nicht unbedingt. Aber viele nennen ihre Verlage nach sich – wie der Guggolz Verlag nach Sebastian Guggolz. Wir wollten unbedingt mal so eine Taschenbuch-Reihe haben, da wäre sowas wie CTB schön gewesen und da war dann mein Widerstand gebrochen und cass ist kurz, kann man sich kurz merken und ja, so kam es zum Namen.

 

 

Fazit!

Wir bedanken uns ganz herzlich bei Frau Cassing, dass sie sich die Zeit genommen hat, mit uns dieses Interview zu führen!

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