Japans Burakumin - Problematik

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Burakumin - "Dorfbewohner". Sie bilden Japans größte Minderheit und werden auch heute noch diskriminiert. Doch gelten die alten Gründe der Feudalzeit, dass ihre Vorfahren „unreinen“ Berufen nachgingen noch? Wie diskriminiert man Menschen, die man rein äußerlich nicht erkennen kann?

Inhalt

Japans Burakumin, wörtlich „Dorfbewohner“, sind Personen, die ursprünglich aufgrund von im Buddhismus als „unrein“ geltender Berufe von der Gesellschaft ausgeschlossen wurden. Als Japans größte Minderheit wurde ihre Geschichte zahlreich analysiert. Sie werden bis heute ohne leicht ersichtlichen Grund diskriminiert, obwohl sie seit der Meiji-Restauration 1986 legal gleichberechtigt sind. Zudem sind sie biologische Japaner, die nicht durch äußerliche Merkmale wie der Hautfarbe identifiziert werden können.

Die Stigmatisierung begann in der Edo-Zeit (1603-1868). Der Shōgun etablierte ein Ständesystem mit dazugehörigem Familienregistrierungssystem (koseki). Im koseki wurde eines jeden Einzelnen zugehörige Klasse, sowie der soziale Status festgelegt. Das sogenannte „Gesindel“ (senmin), aus welchen die späteren Burakumin hervorgingen, standen nicht nur auf unterster Stufe, sondern wurden vom Ständesystem ausgeschlossen. Dies verdeutlichte den „primitiven“ Status dieser Menschen innerhalb der Gesellschaft. Sie wurden strikt von den „guten, gesetzestreuen Bürgern“ (ryōmin) abgegrenzt. Selbstverständlich war eine Hochzeit zwischen diesen Gruppen nicht erlaubt. Die senmin wurden in eta und hinin unterteilt, Personen die einer „schmutzigen“ Beschäftigung nachgingen, sowie deren Angehörige und Nachkommen. Eta kann in etwa als „viel Schmutz“ oder „viel Unreinheit“ übersetzt werden. Es bezieht sich auf Berufe, die mit Blut oder Tod in Verbindung standen wie Schlachter, Gerber oder Bestatter. Hinin bedeutet „Nicht-Menschen“ und repräsentiert beispielsweise Ex-Sträflinge, Landstreicher, Prostituierte oder selbst Schauspieler. Diese Klassifizierungen können nicht verallgemeinert werden und der Status unterschied sich je nach Region. Während die eta in eigenen isolierten Gebieten (dannaba) wohnen mussten, mussten dies die hinin nicht.

In der Meiji-Zeit (1868-1912) wurde das Tokugawa-Ständesystem von Kategorisierungen der Menschen via Ethnie abgelöst. Die Mittelschicht der Edo-Zeit, bestehend aus Kriegern (shi), Bauern (nō), Handwerker (kō) und Händler (shō), bildete nun die Kategosierung der so genannten „gewöhnlichen Leute/Volk“ (heimin). Mit dem Gleichstellungsabkommen von 1871, erhielten die Burakumin, die vorherigen eta und hinin, gleiche Rechte, wie beispielsweise ihren Wohnort wechseln zu dürfen. Dennoch wurden sie nicht als Teil der Allgemeinheit betrachtet, indem ihnen eine neue, „neutrale“ Bezeichnung gegeben wurde: „neue Bürger“ (shin-heimin). In dieser Zeit entstand nun der Euphemismus „Burakumin“. Theoretisch waren sie frei, doch praktisch wurden sie gezwungen in „speziellen Dörfern“ (tokushu buraku) zu wohnen. Ihr Land wurde ihnen genommen und so verloren sie eine wichtige Lebensgrundlage. Sie hatten keine andere Wahl als im Niedriglohnsektor, zum Beispiel in Kohleminen oder im Bauwesen, zu arbeiten. Die Meiji-Regierung bemühte sich um eine Eingliederung in das Bildungssystem und eine Infrastruktur für die Burakumin. Auch die Sozialreform der 1890er ermöglichte manchen Zugang zu Bildung. Doch anhaltende Diskriminierung wurde mit Vorurteilen, diese Menschen seien buchstäblich dreckige, armselige Tiere, gerechtfertigt. Die Vorteile der Restauration wirkten sich nicht auf ihr Alltagsleben aus. Fast als hätte sich nichts geändert, lebten sie weiterhin am Rande der Gesellschaft.

 

V.l.n.r.: Flagge der National Levelers' Association, Flagge der Buraku Liberation League, Eine Karte von Edo, dem jetzigen Tōkyō: Google Earth geriet 2009 für die Veröffentlichung ähnlicher Karten in die Kritik, da durch das Abgleichen mit heutigen Karten wohnorte der Burakumin identifizierbar wurden.



In der Taishō-Zeit (1912-1926) wurde 1922 die National Levelers' Association (Zenkoku Suiheisha), eine Organisation von und für Burakumin, gegründet. Sie setzte sich für eine Emanzipierung, besonders auf beruflicher Ebene, ein. Bei angeblicher Diffamierung wurde diese veröffentlicht und eine schriftliche Entschuldigung gefordert. Nach Ende des Ersten Weltkrieges 1918 traten einige Burakumin verschiedenen sozialen Widerstandbewegungen wie den Reisunruhen (kome sōdō) des selben Jahres bei, um weiter auf ihre Lage aufmerksam zu machen. Somit erreichten die liberalen Prinzipien der Taishō-Demokratie auch die unterste Schicht der Bevölkerung.

In der Shōwa-Zeit (1926-1989) wurde die Suiheisha Japans größte links ausgerichtete Organisation mit 40.000 Mitgliedern 1940. Im Jahre 1942 wurde sie aufgelöst und wurde später zur Buraku Liberation League, kurz BLL (Buraku Kaihō Dōmei). Sie wurden oft für ihre aggressiven und militanten Methoden kritisiert. Besonders der „Denunzierungskampf“ (kyūdan tōsō), einem eigens organisierten Schauprozess, bei dem der vermutete Täter erniedrigt und bedroht wird. Manche dieser Verfahren waren erfolgreich, doch Japans Oberster Gerichtshof legte fest, dass die Diffamierung der Burakumin bis zu einem gewissen Punkt legal sei. Kurz vor und nach dem Zweiten Weltkrieg (1945) bestand die Mehrheit der BLL aus Linken und Kommunisten. Durch ihre Bemühungen änderte die Regierung ihre Vorgehensweisemit der „Richtlinie der Integration“ (yūwa rosen), einem speziellen Wohlfahrtssystem. Es bestand aus politischen Dienststellen, die in den am schlimmsten betroffenen Gebieten agierten. Wieder kam es zu einer Bezeichnungsänderung und die „speziellen Dörfer“ wurden zu „Assimilierungsgebieten“ (dōwa chiku), um weniger ausgrenzend zu klingen. Wenig hatte sich geändert und die Burakumin waren arm wie jeher, diesmal zusätzlich abhängig von der „Richtlinie der Integration“.
Der große Umschwung begann, als Jichirō Matsumoto, BLLs einflussreichster Repräsentant, öffentlich Druck ausübte. Endlich wurde die Burakumin-Problematik politisch und in den Medien diskutiert. 1958 nahm sich die liberaldemokratische Partei Japans dem Problem an. 1965 wurde ein Bericht veröffentlicht, der das Integrationsproblem der Burakumin als real bestehend anerkannte und definierte. Er forderte sofortige Unterbindung der ökonomischen und sozialen Benachteiligungen. In den folgenden Jahren machte das Bildungssystem einen großen Fortschritt. Der Versuch die Burakumin-Ghettos in Wohnsiedlungen, die für alle Bürger attraktiv wären, umzuwandeln scheiterte jedoch. Dennoch wurde ein Verbot der Bezeichnung dieser Gegenden als „buraku“ durchgesetzt. Der Regierung setzte hierfür zwischen fünf und zehn Prozent des jährlichen Bruttosozialproduktes ein.

 

Links: Jichirō Matsumoto
Rechts: Eine Schmiererei, die die Bahnstation Hamano in Hamano-chō, Chūō-ku, Chiba als Eta-Dorf (エタ村) diffamiert.


Den Bemühungen zum Trotz besuchen nur wenige Burakumin Eliteuniversitäten und das Einkommen beträgt im Durchschnitt nur 60 Prozent im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung. Zudem existieren in großen Unternehmen illegale Bücher mit Namenslisten (chimei sōkan), die aufgrund des Edo Familienregistrierungssystems angefertigt wurden. Sie machen Nachfahren von Burakumin identifizierbar. Der Grund der anhaltenden Diskriminierung dürfte neben Vorurteilen bezüglich Verhaltensweisen und Intelligenz die politische Ausrichtung der BLL sein. Obwohl auch andere Burakumin-Organisationen existieren, wie die Buraku Liberation and Human Rights Research Institute (Shadan-hōjin Buraku-kaihō Kenkyūsho), scheint unglücklicherweise die radikale BLL die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

Die abschließende Frage ist, wie man gegen die bestehende Stigmatisierung vorgehen könnte. Als erstes kommt der Gedanke legale Mittel zu Rate zu ziehen. Es gibt kein spezifisches Antidiskriminierungsgesetz, das (verdächtigte) Burakumin schützen könnte. Dennoch besitzen laut der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen alle Menschen gleiche Rechte. Japan unterzeichnete diese vergleichsweise spät im Jahre 1979. Auch die momentan gültige japanische Verfassung von 1947 garantiert diese grundlegenden Menschenrechte. Sie sind in Artikel 11 und 97 festgelegt. Darüber hinaus sichert Artikel 25 ein Leben in Würde und ein Existenzminimum zu. Da die Verfassung für alle japanischen Bürger gilt, stehen diese Rechte auch den Burakumin zu. Doch dieser Artikel wird in Gerichtsverfahren eher als Aufgabe der Regierung, als als konstituitiv angesehen. Daher ist ein Einklagen schwierig. Die Menschenrechtserklärung der UN ist zwar der Verfassung übergeordnet, dennoch scheint niemand diese rechtlich zu nutzen.

Überraschend ist, dass weder die Regierung, noch die Burakumin selbst die Verfassung dahingehend verändern möchten. Der Standpunkt der Burakumin ist, dass es wichtiger sei, die Gedanken der Menschen zu ändern, anstatt rechtliche Wege zu gehen. Dies ist insofern verständlich, als dass ein Verbot die Vorurteile nicht abbauen kann. Auch wird keine Empathie für den Klägers geweckt. Es ist gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen dem Bestehen auf meinem Recht und dem Überzeugen meines Gegners. Andererseits könnte das Unterlassen der Klage die bestehende missliche Lage verstärken. Durch das Gehen vor Gericht könnten die Burakumin der Mehrheitsbevölkerung die Gelegenheit geben aus ihren Fehlern zu lernen.

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