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Wenn uns jemand fragt, welches Sternzeichen wir sind, dann müssen wohl die meisten nicht lange überlegen. Bei der Frage nach unserer Blutgruppe sähe das aber wahrscheinlich schon ganz anders aus. Die kennt hierzulande kaum einer, der nicht regelmäßig Blutspenden geht oder für den die Blutgruppe eine medizinische Relevanz hat.
Ganz anders in Japan! Im Land der aufgehenden Sonne kennen ca. 90 % der Menschen ihre Blutgruppe (jap. 血液型, Ketsueki-gata). Denn so, wie man hierzulande den verschiedenen Sternzeichen unterschiedliche Charakterzüge zuordnet und Horoskope für sie erstellt, glaubt man in Japan, dass die Blutgruppe die jeweils charaktertypischen Eigenschaften einer Person und ihr Schicksal beeinflusst.
Das AB0-Blutgruppensystem wurde 1901 von dem Wiener Arzt Karl Landsteiner begründet. Es teilt das Blut der Menschen in die vier Gruppen A, B, AB und 0 (Null) ein, wobei die Häufigkeit der einzelnen Blutgruppen auf der ganzen welt regional verschieden ist. In Japan z.B. haben durchschnittlich 20 % der Menschen die Blutgruppe B, während in Deutschland nur ca. 11 % diesem Typus angehören. Dafür sind andererseits beispielsweise Menschen der Blutgruppe 0 hierzulande deutlich häufiger.
1916 veröffentlichte der japanische Arzt Kimata Hara seine Forschungsergebnisse zu dem von Landsteiner entwickelten Blutgruppensystem. Er behauptete darin, zum ersten Mal unterschiedliche stereotype Charakteristika bei Menschen unterschiedlicher Blutgruppen festgestellt zu haben. Diese Thesen, die zunächst wenig Beachtung in der Öffentlichkeit fanden, wurden kurz darauf von dem Psychologen und Lehrer Furakawa Takeji aufgegriffen und weiterentwickelt. Nach zahlreichen Artikeln, in denen er seine Forschungsergebnisse publik machte, veröffentlichte er 1916 schließlich seine „Theorie zur Prägung des Charakters durch den Bluttyp“ (jap. Ketsuki-gata to Seikaku), welche in den 20er Jahren in ganz Japan große mediale Beachtung fand und dadurch auch in der breiten Bevölkerung einen sehr hohen Bekanntheitsgrad erreichte.
Furakawas Thesen wurden kurzzeitig sogar vom japanischen Militär aufgegriffen, welches in der Hoffnung, seine Einsätze so erfolgreicher absolvieren zu können, sich bei der Zuteilung der Aufgaben seiner Soldaten an deren Blutgruppen orientierte.
In den Zwischenkriegsjahren, bevor Japan in den zweiten Weltkrieg eintrat, beschäftigte sich der japanische Staat zudem intensiv mit der Blutgruppenforschung. Unter dem Einfluss, der von dem deutschen Nazisystem proklamierten Rassentheorien, untersuchten Japans Wissenschaftler das Blut ihrer Kolonialvölker und der als minderwertig betrachteten Ureinwohner, der Ainu.
Nach Ende des zweiten Weltkriegs brach die Aufmerksamkeit, die man den Thesen Furakawas bis dahin gewidmet hatte, jedoch wieder ein, zumal sie sich auch als wissenschaftlich völlig haltlos erwiesen hatten und die Blutgruppentheorien gerieten für fast ein halbes Jahrhundert in Vergessenheit.
Bis 1971, als Masahiko Nomi, ein japanischer Psychologe und Journalist, den Liebesratgeber „Kompatibilität der Blutgruppen“ (jap. Ketsueki-gata de wakaru aiso) veröffentlichte. Damit waren die Blutgruppen-Theorien schlagartig wieder in aller Munde. Der Erfolg des Buches und seine Resonanz in den Medien war riesig und löste einen großen Hype in Japan aus, auf dessen Gipfel Bewerber bei Firmen auch nach ihrem Bluttypus ausgewählt wurden und man Schulklassen aufteilte, um die unterschiedlichen Gruppen anhand ihrer Blutcharakteristika mit optimalen Lehrmethoden zu unterrichten.
In dem Buch teilt Nomi die Menschen ihrem Bluttypus entsprechend in die Kategorien Bauer (A), Jäger (B), Krieger (0) und Humanisten (AB) ein und ordnet ihnen dementsprechend bestimmte stereotype Eigenschaften zu.
Zwar ist der Hype von einst inzwischen längst vorbei, doch die Blutgruppentheorien sind heute noch immer fester Bestandteil des japanischen Alltags.
Schaltet man beispielsweise morgens das Frühstücksfernsehen ein oder schlägt die Zeitung auf, kann man sich über das tägliche Horoskop seiner Blutgruppe informieren. Und natürlich verraten einem auch sämtliche Zeitschriften, was einem die Zukunft bringen könnte, nicht anders als hierzulande die Tierkreiszeichenhoroskope.
Ebenfalls sehr populär sind auch Partnervermittlungen basierend auf der jeweiligen Blutgruppe.
Auch wenn man jemanden zum ersten Mal begegnet, ist es nicht unüblich nach dem Bluttyp des andern zu fragen um diesen besser einschätzen zu können. Und selbst fiktionalen Anime- und Mangacharakteren werden von ihren Schöpfern häufig Blutgruppen zugeordnet.
2008 sorgte die vierteilige Buchreihe „A/B/0/AB gata jibun no setsumeisho” („Selbsterklärung für den A/B/0/AB –Typ") eines anonymen Autors mit dem Pseudonym Jamais Jamais für ein erneutes Aufflammen des Interesses der Japaner an den Blutgruppentheorien. Die Reihe, mit je einem Band für jede Blutgruppe, verkaufte sich über 5 Millionen mal und wurde in dem Medien heiß diskutiert.
Doch was sagen diese Theorien, der jeweiligen Blutgruppe entsprechend, nun eigentlich über den Charakter aus?
Menschen der Blutgruppe A, der in Japan 40 % angehören, gelten als aufopfernde, bodenständige Personen, die zudem fleißig, kreativ und sensibel sein sollen. Des Weiteren gelten sie als besonders ehrgeizig veranlagt und zum Perfektionismus neigend, jedoch auch als schüchtern und stur. Zudem sollen sie in ihrem Denken eher konservativ geneigt sein.
Der AB-Typ, dem nur ca. 10 % der japanischen Bevölkerung angehören und der damit der seltenste der vier Bluttypen ist, gilt gemeinhin als ambivalentester Charaktertyp, da er sehr gegensätzliche Eigenschaften auf sich vereint, zwischen denen er häufig schwankt und wechselt. Einerseits gilt er als kontrolliert, kontaktfreudig und unternehmungslustig. Man kann sich auf ihn verlassen und er bietet stets bereitwillig seine Hilfe an. Auf der anderen Seite werden ihm aber auch eine gewisse Zögerlichkeit und Wankelmütigkeit bei Entscheidungsfindungen zugeschrieben und ein schlechter Umgang mit Verantwortung, wenn man zu viel von ihm verlangt.
Menschen dieser Blutgruppe gelten als die umgänglichsten Typen.
Wer die Blutgruppe 0 (ca. 30 %) hat, soll ein geselliger, extrovertierter und optimistischer Typ sein, der meist direkt und offen ausspricht, was er denkt. Er zeichnet sich durch ein besonders ausgeprägtes Selbstbewusstsein aus, welches sich auch in Eitelkeit und Arroganz äußern kann. Menschen dieser Blutgruppe wird jedoch auch eine Tendenz zum schnellen Aufgeben zugeschrieben. Trotzdem gelten sie gemeinhin als die idealen Anführer und gute Organisatoren.
Angehörige der Blutgruppe B (ca. 20 %) zeichnen sich, dem Klischee nach, vor allem durch ihren großen Hang zum Praktischen aus. Sie sollen leidenschaftlich, stark und zäh sein, aber auch individualistisch bis egoistisch. Entscheidungen treffen sie selten aus dem Bauch heraus und auf andere Menschen sollen sie eher ernst bis kühl wirken.
Wegen der eher individualistischen als gruppenorientierten Tendenzen, die dem B-Typ zugeschrieben werden, was in Japan oft als problematisch angesehen wird, kämpften Menschen dieses Bluttypes zeitweise mit Vorurteilen, vor allem bei Einstellungsverfahren. Als einige Firmen auf dem Höhepunkt der Popularität der Blutgruppentheorien begannen, 0-Typen systematisch auszuselektieren, wurde das Wort „Burahara“ geprägt. Eine japanisierte Kurzform für den englischen Begriff „Blood Type Harassment“, Blutgruppenrassismus. Heute ist die „Burahara“-Problematik jedoch glücklicherweise kaum noch ein Thema in Japan.
Zwar häufig extremer betrieben und ernster genommen, doch im Grunde nicht anders als die hierzulande bekannten Tierkreiszeichen, erfreuen sich Blutgruppenhoroskope und –ratgeber in Japan noch immer großer Beliebtheit und auch die fehlende wissenschaftliche Grundlage wird daran wohl so bald nichts ändern.
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