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Wer schon einmal auf Okinawa war, dem werden die löwenartigen Figuren nicht entgangen sein, die man teilweise an jeder Ecke antrifft: Die Wesen mit der gelockten Mähne und dem manchmal geöffnetem, manchmal geschlossenem Maul sind Shisa, die örtlichen Beschützer der Insel. Einige werden sich vielleicht an ihre großen Brüder, die Komainu, erinnert fühlen, denen man auf dem japanischen Festland begegnen kann.
Allerdings gibt es zwischen den Shisa und den Komainu einige Unterschiede: Zwar sind beide Varianten über China (und Korea) nach Japan gekommen, Okinawa erreichten sie jedoch vor 1879, zu einer Zeit, als das Königreich Ryukyu noch nicht offiziell zu Japan gehörte und die Präfektur Okinawa so auch noch nicht existierte. Aus diesem Grund gibt es Shisa auch ausschließlich auf Okinawa, da sie stark mit der dortigen Kultur verbunden sind. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass Komainu überwiegend in oder vor Shinto-Schreinen, Buddha-Tempeln und Adelsanwesen aufgestellt werden, also an sogenannten heiligen Orten. Shisa hingegen sind im alltäglichen Leben der Inselbewohner eingebunden und finden sich auch an Schulen, Krankenhäusern oder ganz einfachen Behausungen. Sie sind auf Okinawa quasi die Beschützer von jedermann und nicht nur von Höhergestellten.
Auch ranken sich um die Shisa ganz eigene Geschichten und Mythen. Die wohl Weitverbreitetste ist jene um das Seeungeheuer: Eines Tages erhielt der König der Shuri-Burg ein Geschenk eines chinesischen Botschafters in Form einer Kette mit einem Shisa-Anhänger. In jener Zeit besuchte besagter König das Dorf Madanbashi an der Naha-Bucht, wo ein Seeungeheuer sein Unwesen trieb und die Dorfbewohner regelmäßig in Angst und Schrecken versetzte. Gleichzeitig erinnerte sich die örtliche Priesterin an einen Traum, den sie kürzlich gehabt hatte, und sie beauftragte den Jungen Chiga damit, dem König diesen mitzuteilen: Demnach sollte der König dem Ungeheuer gegenübertreten und ihm den Shisa-Anhänger hoch erhoben entgegenhalten. Der König tat wie ihm gesagt wurde und als das Seeungeheuer den Anhänger erblickte, fuhr ein gewaltiges Gebrüll durchs ganze Dorf, dass sogar das Ungeheuer selbst erzitterte. Durch dieses laute Gebrüll fiel ein Felsbrocken vom Himmel und landete auf den Schwanz des Drachen, der sich nun nicht mehr fortbewegen konnte und schließlich starb. Im Laufe der Zeit wurden sowohl der Felsbrocken wie auch der tote Körper von Pflanzen und Bäumen überwuchert. Heute kann man die vermeintlichen Überreste des bewachsenen Drachenkörpers im Gana-mui-Wald bekunden.
Eine andere Legende stammt aus dem Dorf Tomori: Jenes wurde von immer wiederkehrenden Feuern geplagt, bis sie irgendwann den Feng Shui-Meister Saionzui aufsuchten und um Hilfe baten. Dieser erklärte den Dorfbewohnern, dass das Feuer mit dem nahegelegenen Mount Yaese in Verbindung stand und er riet ihnen dazu, einen großen Shisa aus Stein zu bauen, der mit der Blickrichtung auf besagten Berg ausgerichtet war. Die Dorfbewohner folgten dieser Anweisung und wurden seither nicht mehr von Feuern geplagt.
Shisa-Statuen kann man übrigens sowohl einzeln wie auch als Paar antreffen. Es wird oft gesagt, dass das Geschlecht abhängig davon wäre, ob das Maul offen oder geschlossen sei, jedoch gehen die Meinungen hier weit auseinander und sind wohl auch regionsabhängig. Gemein haben sie aber alle ihre ihnen zugesprochene schützende Wirkung.
Auch in der Popkultur hat sich das wild aussehende Fabelwesen seinen Platz ergattert: Da wäre zum Beispiel der Dämon Shiisaa aus den „Shin Megami Tensei“-Games oder die Pokémon Growlithe und Arcanine aus der gleichnamigen Franchise-Reihe. Ebenso Seasarmon aus dem Anime „Digimon“. Und sogar die Godzilla-Reihe wurde von den Shisa inspiriert: Die Rede ist hier von der Figur des King Caesar. Der Grund für die Namenswahl basiert auf eine Fehlinterpretation, in der angenommen wurde, die Japaner würden den Namen Cäsar als „shisa“ sprechen.
Wer künftig einem Shisa begegnet, kann nun also sicher sein, dass von den Wesen mit dem oft garstigen Gesicht keinerlei Gefahr ausgeht, sondern sogar das Gegenteil...!
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