Inhalt
ALLGEMEIN
Yôkai (jap. 妖怪) ist ein Wort, dass sich nur schwer ins Deutsche übertragen lässt. Es bezeichnet traditionelle Monster- und Fabelwesen der japanischen Mythologie, in allen nur erdenklichen Arten. Von unheimlichen Ungeheuern und Dämonen über bös- und gutartige Gespensterwesen bis hin zu magiefähigen Tieren oder frechen Kobolden. Genau diese Vielzahl an Erscheinungsformen macht den Begriff der Yôkai so schwer fassbar, denn klare Abgrenzungskriterien zu anderen mystischen Erscheinungsformen und Geistergestalten gibt es kaum.
Die japanische Volksreligion Shintô geht von einer beseelten Natur aus, in der allen Dingen, auch jedem Baum, Berg oder Tier eine eigene Gottheit (jap. Kami) innewohnen kann. Der Übergang zwischen diesen Kami und den Yôkai ist oft fließend. Sie lassen sich nicht in einfache Kategorien wie Gut und Böse einteilen (im Shintô wird auch generell nicht zwischen „Gut“ und „Böse“ unterschieden). Der wesentlichste Unterschied zwischen einem Yôkai und einem Kami besteht jedoch darin, das letzterer –so der Volksglauben– durch Gebete oder Opfer besänftigen werden kann. Yôkai allerdings lassen sich generell nicht von Menschen beeinflussen.
GESCHICHTE
Es gibt keine Hinweise auf einen zeitlichen oder regionalen Ausgangspunkt der Erzählungen um die Yôkai. Sie existieren schon seit uralten Zeiten und es wird angenommen, dass ihr Ursprung auf den Wunsch zurückgeht, sich seltsame oder unheimliche Phänomene zu erklären. Vernahm man beispielsweise in der Nacht das Geräusch eines umfallenden Baumes im Wald, der aber am nächsten Tag nicht mehr aufzufinden war, so schrieb man dies vogelähnlichen langnasigen Wesen (Tengu) zu und gab dem Phänomen den Namen Tengudaoshi. Durch eine solche Klassifizierung unheimlicher Vorkommnisse wurde nicht nur das Verlangen der Menschen nach einer Erklärung gestillt, sondern es vereinfachte auch die Kommunikation.
Neben den in Japan entstandenen Erzählungen über Yôkai, kamen im Verlauf des zunehmenden Austauschs mit dem Festland auch Sagen aus China und Indien in Umlauf, die in den großen Kosmos der Yôkai-Mythologie Eingang fanden.
Den ersten Höhepunkt der „Yôkai-Kultur“ bildete die Edozeit (1603 - 1868). Sie bestimmt einen bedeutenden Wendepunkt in der Vorstellung der Menschen von den traditionellen Fabelwesen. Bis dahin waren sie zwar durchaus gelegentlich auf einzelnen Abbildungen zu finden gewesen, doch erst in der Edo-Zeit sollten sie durch den Holzschnittkünstler Toriyama Sekien (1712-1788) eine wiedererkennbare Gestalt erhalten, an denen sich bis heute die Vorstellungen von Yôkai orientieren. In seinen vier Bildbänden schuf Sekien Archetypen von allen möglichen, aus dem Volksglauben bekannten Yôkai-Wesen sowie einiger Eigenkreationen. Seine Bilder zeichneten sich vor allem durch ihre betont unheimliche Art der Darstellung aus, die die Vorstellung der „düsten Yôkai-Kultur“ dieser Zeit prägten. Ihre visuelle Gestaltung wurde in der Folgezeit auch von anderen berühmten Holzschnittkünstlern wie Utamaro, Hokusai, Kuniyoshi, Yoshitoshi oder Kyôsai übernommen, was, zusammen mit der fortschreitenden Entwicklung des Druckhandwerks, zur weiteren Verbreitung der von Sekien geprägten Vorstellung der Yôkai beitrug.
Der nächste große Schritt hin zu dem Bild, das wir heute von Yôkai haben, ereignete sich in der Meji-Zeit (1868 – 1912), die den Anfang der japanischen Moderne markiert. Zu dieser Zeit –in der man den technologischen und kulturellen Anschluss an den scheinbar überlegenen Westen schaffen wollte– bemühte sich vor allem Inoue Enryô darum, den im Volk weit verbreiteten Glauben an die Yôkai auszurotten und sie als reaktionär und hinderlich für die Modernisierung zu brandmarken. Damit prägte er die Vorstellung, dass Yôkai im direkten Gegensatz zu Moderne und Fortschritt stehen. Von da an wurden sie mit der Vergangenheit und dem „alten Japan“ in Verbindung gebracht. Unterstützt wurde diese Tendenz auch durch die von dem Volkskundler Yanagita Kunio (1875 – 1962) verfassten und zu großer Bekanntheit gekommenen „Tono Monogatari“ („Geschichten von Tono“), in denen er, vor dem Hintergrund eines idyllischen Landlebens in dem Dorf Tono, Geschichten um allerlei Yôkai-Figuren beschreibt.
Das man heute von einer „freundlichen Yôkai-Kultur der Moderne“ spricht, ist vor allem der Aufarbeitung dieser Fabelwesen in der Popkultur zu verdanken. Zwar sind Yôkai damals wie heute häufig als grässliche Monster und furchteinflößende Geister in J-Horrorfilmen zu finden, stärkeren Einfluss auf das generelle Bild der Yôkai übten jedoch die Werke verschiedenster Manga-Zeichner und Animeregisseure aus.
An erster Stelle zu nennen ist hierbei der Mangaka Mizuki Shigeru und sein populäres Hauptwerk „GeGeGe no Kitarô“ („Der Dämonenjunge vom Friedhof“), das sich um einen Halbyôkai (jap. Han'yō) names Kitarô dreht, der als Vermittler zwischen Menschen und Yôkai agiert. Aufgrund der Umsetzung seines Werkes als Anime mit über 400 Folgen, zahlreicher Wiederholungen seit über 40 Jahren sowie weiterführender Verfilmungen und zahlloser Merchandiseprodukte, gibt es wohl kaum ein Kind in Japan, das seine Yôkai-Interpretationen nicht kennt. Mizuki schuf zudem eine eigene Version der Bildbände von Sekien und zeichnete auch eine graphische Umsetzung der „Geschichten von Tono“. In seinem Werk sind die auftretenden Yôkai jedoch in ein sehr viel weniger furchteinflößendes Licht gerückt als dies bis dahin der Fall war. Oft erscheinen sie sogar eher skurril und lustig.
Ebenfalls großen Einfluss übten die, auch international bekannten, Filme von Regisseur Hayao Miyazaki (u.a. „Chihiros Reise ins Zauberland“, „Prinzessin Mononoke“). aus. Vor allem der von ihm geschaffene Totoro (aus dem Kultanime „Mein Nachbar Totoro“) prägte das Bild von Yôkai als Personifikation von Natur und als Bestandteil eines traditionellen Landlebens.
Wie „GeGeGe no Kintarô“, stellen auch Miyazakis Filme heutzutage häufig den ersten Kontakt zwischen japanischen Kindern und Yôkai her und prägen so ihre Vorstellung der traditionellen Fabelwesen nachhaltig.
Natürlich tauchen auch in anderen bekannten Anime und Manga verschiedene Yôkai auf, weshalb einige heutzutage sogar von einen „Yôkai-Boom“ in der modernen Popkultur sprechen. Besonderen Bekanntheitsgrad erreichten dabei z.B. die auch in Deutschland populär gewordenen Werke von Mangaka Rumiko Takahashi (u.a. „Urusei Yatsura“, „Ranma ½“, „Inuyasha“).
BEISPIELE BEKANNTER YÔKAI
Wie bereits erläutert, gibt es eine schier unendlich große Zahl an verschiedenen Yôkai. Daher wollen wir euch hier nur drei der bekanntesten vorstellen.
Ein auch im Westen inzwischen zu einiger Bekanntheit gekommener Vertreter ist der Kappa (dt. Flusskind). Dieses den Menschen eher feindlich gesonnene Wesen ist ein Fluss- See-, Teich- oder Sumpfbewohner, der ahnungslosen Opfern, die sich zum Baden oder Waschen ihrem Gewässer nähern, auflauert, um sie zu überfallen und unter Wasser zu ziehen. Dargestellt werden Kappa meist als grünliche, koboldartige Wesen, nicht größer als ein durchschnittliches Menschenkind, mit schuppiger Haut, einem Schildkrötenpanzer auf dem Rücken, schnabelähnlichen Mund und einer kleinen Mulde oder Delle im Kopf in der sich ihr magisches Wasser befindet. Doch dieser Quell ihrer Kraft ist gleichzeitig auch die große Schwachstelle der Kappa. Verlieren sie nämlich dieses Wasser verlieren sie auch all ihre Macht und werden bewegungsunfähig. Will man also einen Kappa besiegen, so gibt es die sehr einfache Möglichkeit sie mit einer tiefen Verbeugung zu grüßen, denn eine solche muss, so gebietet es die japanische Höflichkeit, erwidert werden. Dies ist definitiv einfacher, als einen Kappa zum Zweikampf herauszufordern, denn sie sind dem Volksglaube nach leidenschaftliche und nicht ungeschickte Sumoringer.
Wer sich schon immer gefragt hat, warum mit Gurken gefüllte Sushirollen eigentlich Kappa Maki heißen, hier die Antwort: Kappa lieben Gurken.
Ein ebenfalls sehr bekannter Vertreter der Yôkai sind Kitsune: Füchse, die über magische Fähigkeiten verfügen und zu den Hengeyôkai, den Gestaltwandlern, zählen. Ihre bevorzugte Form ist dabei die einer Menschenfrau. Es gibt zahlreiche Erzählungen, in denen Füchse die Gestalt einer Frau annehmen und dann jahrelang mit einem Mann zusammenleben, ohne dass dieser deren wahre Gestallt auch nur erahnen würde. Ihre Magiebegabung nimmt mit fortschreitendem Alter zu, genau wie die Zahl ihrer Schwänze, die sich maximal auf neun Stück belaufen kann. Ihr Charakter ist zwiespältig, sie gelten gemeinhin als listig, sind jedoch weder als eindeutig gut noch böse gekennzeichnet.
Das letzes Beispiel wären noch die Tanuki, die hierzulande vielleicht manchen aus dem Studio Ghibli-Film „Pom Poko" bekannt sind. Tanuki sind Marderhunde, die wie die Kitsune zu den magiebegabten Wesen und Gestaltwandlern gehören, wobei ihnen jedoch ein geringeres Geschick darin nachgesagt wird. Oft findet man an den Eingängen zu japanischen Kneipen Tanukistatuen mit einer Sakeflasche in der einen und einem Schuldschein für diesen in der anderen Hand (den sie nie bezahlen). Sie haben überdimensionale Hoden, die Glück bringen sollen und sogar als Waffe eingesetzt werden können. Häufig tragen solche Figuren auch einen Strohhut, der die Tanuki als Reisende oder Vagabunden kenntlich macht. Sie gelten einerseits als draufgängerische, derbe Gesellen, denen auch eine gewisse Heimtücke nachgesagt wird, andererseits werden sie aber auch als gutmütig und schlau dargestellt.
Wer jetzt Lust bekommen hat, noch ein bisschen mehr über Yôkai zu lesen, der kann dies neben den oben bereits erwähnten Manga- und Anime auch in vielen klassischen Märchen-und Sagensammlungen tun.
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